Gauck: Eine Biographie by Mario Frank

Gauck: Eine Biographie by Mario Frank

Autor:Mario Frank [Frank, Mario]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2013-10-05T22:00:00+00:00


Kandidat für die Volkskammer

Als die ersten freien Volkskammerwahlen in der Geschichte der DDR vor der Tür standen, sie waren auf den 18. März 1990 terminiert, musste sich das Rostocker Neue Forum entscheiden, wen es als seinen Spitzenkandidaten ins Rennen schicken wollte. »Je näher die Volkskammerwahl kam, desto mehr stellte sich die Frage, wer ist geeignet, um Verantwortung zu übernehmen«, erinnerte sich Harald Terpe. Die Entscheidung fiel den Rostocker Bürgerrechtlern nicht schwer. »Als es um die Volkskammerwahlen ging, war relativ schnell klar, dass Gauck das wird.« Vor allem aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten war der Revolutionspfarrer inzwischen zur dominanten Figur geworden. »Na, der Gauck ist doch der geborene Politiker«, war die allgemeine Meinung. Christoph Kleemann, der bald neuer Oberbürgermeister von Rostock werden sollte, beobachtete an Gauck: »Er sah die Aufgabe und übernahm Verantwortung. Er ging in die Öffentlichkeit und beherrschte sie.« Gauck hätte damals auch Rostocker Oberbürgermeister werden können, als im März 1990 der langjährige SED-Amtsinhaber davongejagt wurde. Seine Mitstreiter drängten ihn dazu, aber Gauck wollte nicht. Er sah seine politische Tätigkeit als befristet an und seinen Platz nach wie vor in der evangelischen Kirche.

Wieder zögerte Gauck, als seine Mitstreiter an ihn herantraten, für die Volkskammer zu kandidieren. Gerade hatte er seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. »Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, würde es mir leichter fallen«, wehrte er 220 zunächst ab. Seine politischen Freunde fragten ihn, baten, drängten. »Er ist immer gefragt worden. Er musste sich nicht wichtigtuerisch verhalten, andere haben sein Talent erkannt«, berichtete Johann-Georg Jaeger, ein Student, der zu den Ersten gehörte, die sich im Neuen Forum engagierten.

Joachim Gauck rang sich schließlich zum Ja durch. Während einer Sitzung des Neuen Forums, Ende 1989, meldete er sich zu Wort und erklärte: »Also gut, ich kandidiere.« Dietlind Glüer erinnerte sich, wie glücklich alle in diesem Moment waren und »total überzeugt von ihm«. Am Heiligabend verabschiedete sich der Pastor mit seinem letzten Gottesdienst in Evershagen von seiner Gemeinde. Viertausendfünfhundert Mitglieder zählte sie, nach achtzehnjähriger Aufbauarbeit durch Gauck, zu diesem Zeitpunkt. Das entsprach rund zwanzig Prozent der Bewohner dieses Rostocker Stadtteils. Das war viel für eines der in den siebziger Jahren errichteten Plattenbauviertel. 1989 gehörten insgesamt nur noch rund dreißig Prozent der DDR-Bewohner einer evangelischen Kirche an. Es war der Moment, in dem Gauck den »Freiraum Kirche«, den er vor mehr als zwanzig Jahren betreten hatte, verließ. Er glaubte in diesem Moment, dass die politische Aufgabe nur eine vorübergehende sein und er bald wieder in sein Amt als Seelsorger zurückkehren würde. Er irrte sich.



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